welche funktionen muss mode erfüllen?
Ein interview Mit Anna von Wundersee® Fashion
Auf Anna und ihr Modelabel bin ich nicht einfach so gestoßen. Während der Recherche in eigener Sache bezüglich Crowdfunding entdeckte ich ihre Kampagne und wusste gleich, dass ich sie kontaktieren möchte. Zu Beginn war ich noch stille Beobachterin, wollte erst einmal ihr Konzept verstehen und dann schrieb ich sie einfach an.
Als sie mir ihre Antworten schickte, bekam ich ein bestimmtes Bauchgefühl, dass mir vermittelt: „Ich habe hier etwas Wertvolles vor mir!„. Und genauso möchte ich dieses Interview auch behandeln. Es ist eine Gründung aus eigenen Erfahrungen und dadurch auch dem Mangel an inklusiver Mode. Unsere Konzepte haben viel gemeinsam, doch Anna geht noch einen Schritt weiter und entwirft relevante Schnitte für Menschen im Rollstuhl und kombiniert dies mit ihrem farbenfrohen Design. Ich finde ihre Arbeit wirklich grandios und freue mich auf die gegenseitige Unterstützung. Danke für dieses Interview!
Liebe Anna, du hast dein eigenes Modelabel gegründet. Könntest du zuerst beschreiben, aus welcher Motivation du gegründet hast?
Ich habe aus einem Projekt heraus gegründet, das ich im Masterstudium entwickelt habe: Eine Kollektion mit barrierefreier Rollstuhlmode für Frauen. Die Idee kam zunächst daher, dass ich selbst Rollstuhlfahrerin bin und eine neuro-muskuläre Erkrankung habe, die auch meine Feinmotorik sehr stark beeinträchtigt und dass ich darum große Probleme habe, Mode zu finden, die mir gefällt UND die ich zudem selbstständig an- und ausziehen kann. Gegründet habe ich mit dieser Idee, als ich gemerkt habe, wie wichtig diese Thematik der inklusiven Mode gerade heutzutage ist und dass ich im Prinzip eine Marktlücke gefunden habe. Ich habe erfahren, dass sich Menschen ehrlich für meine Mode begeistern und ich Frauen, denen es ähnlich geht wie mir, wirklich damit helfen kann. Daher wollte ich unbedingt weiter machen.
Und was machst du genau mit deinem Brand Wundersee® Fashion? Welche Bereiche übernimmst du und welche gibst du ab, wo produzierst du und was ist dir bei deiner Kollektion besonders wichtig?
Ich werde mit Wundersee® Fashion Ende des Jahres einen Onlineshop mit barrierefreier Rollstuhlmode eröffnen. Dort werde ich zunächst meine Mini-Kollektion „Go Your own Way“ anbieten, die Wintermäntel, zweiteilige Jumpsuits, Orthesenhosen, Kleider und Badeanzüge für Rollstuhlfahrerinnen und z.T. auch für Fußgängerinnen beinhaltet, und das Sortiment dann langsam weiter ausbauen. Bis jetzt übernehme ich eigentlich noch alle Bereiche selbst – vom Design über das Marketing, den Bau und die Verwaltung des Onlineshops bis zum Versand usw. – nur die Produktion der Kleidungsstücke wird eine kleine Ein-Frau-Produktionsstätte hier vor Ort für mich übernehmen. Die faire Produktion im Inland ist mir sehr wichtig, ebenso wie die Verwendung von Bio- und Recycling-Materialien, damit ich mein Vorhaben mir und der Umwelt gegenüber verantworten kann. Besonders wichtig im Design sind mir außerdem die Aspekte Rollstuhltauglichkeit, Komfort, Individualität und die bereits erwähnte Möglichkeit der Selbstständigkeit meiner KundInnen.
Sofern die Frage nicht zu persönlich ist, doch wie ist es mit einer motorischen Einschränkung Modedesignerin zu sein? Wird dadurch die „typische“ Timeline eines Designprozesses verändert?
Meine motorische Einschränkung wurde im Studium mithilfe einer Nähassistenz ausgeglichen. Für meinen Onlineshop umgehe ich dieses „Problem“, indem ich die Produktion einfach auslagere, was die meisten ModedesignerInnen ohnehin früher oder später tun. Ansonsten schränkt es mich im Designprozess eigentlich wenig ein, dass ich meine Finger nicht bewegen kann, da ich früh begonnen habe, Vorgänge wie Greifen etc. zu adaptieren und anders umzusetzen. Was meine Timeline eher beeinflusst, ist meine neuro-muskuläre Erkrankung an sich, da sie mir sehr viel Kraft raubt, sowohl körperlich als auch oft mental. Natürlich versucht man, immer sein Bestes zu geben und so „normal“ wie möglich zu wirken (weil dies leider auch von der Gesellschaft erwartet wird), aber Fakt ist, dass ein kranker Körper wesentlich weniger belastungsfähig ist, als ein körperlich gesunder. Man muss sich seine Zeit und seine Kräfte noch besser einteilen und manchmal sogar über seine Kräfte hinausgehen, um sein Ziel zu erreichen, was sich dann irgendwann rächt. Die „typische“ Timeline des Designprozesses ist also definitiv beeinträchtigt, doch ich habe ganz gut gelernt, mich damit zu arrangieren. Mit Wundersee® Fashion kann ich mir meine Zeit momentan selbst einteilen und habe somit meine eigene Timeline. Man könnte meine Vorgehensweise aber auch einfach Slow Fashion nennen ;)
Was zeichnet deine Kollektionen gegenüber den bereits bestehenden Marken aus?
Ich denke da auf jeden Fall an meine persönliche, feminine und bunte Handschrift im Design, aber auch daran, dass ich in meiner Mode erstmals versuche, sehr viele verschiedene wichtige Aspekte zu vereinen. Oft habe ich bei herkömmlichen Rollstuhlmoden-Marken beobachtet, dass nur eintönige Unisex-Basics angeboten werden, aber ich bin der Ansicht, dass der rollstuhlfahrende Mensch eine ebenso große Auswahl in der Mode haben sollte wie der laufende Mensch. Man sollte nicht wählen müssen zwischen praktisch und stylisch oder bequem und zum Anlass passend. Das sollte niemand müssen. Vor allen Dingen aber darf unsere Mode nicht unsere Selbstständigkeit einschränken. Wenn ich z.B. auf eine Party ein schickes Kleid anziehen möchte, möchte ich mich erstens nicht den ganzen Abend darin quälen und zweitens nicht spät nachts bei Mami oder sonst wem anrufen müssen, weil ich nicht wieder alleine aus dem Kleid raus komme! Man könnte also sagen, dass ich mir „Freiheit durch und in der Mode“ auf die Fahne geschrieben habe.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Suche nach Mode für Menschen im Rollstuhl?
Die eben beschriebene Frage, ob ich mit und in dem Kleidungsstück unabhängig und selbstständig sein kann, ist für mich dabei die größte Herausforderung. In einem Bekleidungsgeschäft schrumpft die Auswahl da ganz schnell auf ein kleines Minimum. Aber auch der Schnitt und die Passform sollen natürlich vorteilhaft sein. Und was das Wichtigste ist: Dann muss mir das Kleidungsstück auch noch gefallen. Shopping hat für Menschen im Rollstuhl oft nichts mit Spaß zu tun. Man entwickelt da irgendwann so einen sehr pragmatischen Scanner-Blick. Dann kommt natürlich noch das Problem der nicht barrierefreien winzigen Umkleiden hinzu. Man muss also abschätzen, ob das Kleidungsstück gut passt und einem steht und anhand davon entscheiden, ob man es kauft oder nicht. Onlineshops mit einem 14-tägigen Rückgaberecht sind da wahrscheinlich die bessere Alternative, weshalb ich mich für Wundersee® Fashion auch für dieses Verkaufsmodell entschieden habe. Die Stufe am Eingang fällt da ebenfalls weg – heute leider immer noch ein häufiges Problem.
Wie funktional muss Mode für Menschen im Rollstuhl sein? Bzw. wie wichtig ist es, dass es mehr Brands gibt, die sich den modischen und funktionalen Bedürfnissen für Menschen im Rollstuhl annimmt?
Das An- und Ausziehen ist für viele Menschen im Rollstuhl ein riesiger Akt, je nachdem um was für ein Outfit es geht und wie stark die körperliche Beeinträchtigung ausgeprägt ist. Auch für die Helfenden ist es anstrengend und zeitraubend. Viele machen sich das gar nicht bewusst. Wenn mein Freund und ich überlegen, ob wir ins Schwimmbad gehen wollen, denken wir als erstes darüber nach, ob wir es uns heute wirklich antun möchten, mich in der stickigen Umkleide später wieder anzuziehen oder ob uns das heute zu anstrengend ist. Kleidung kann also regelrecht behindern – müsste sie aber nicht. Es sollte darum unbedingt mehr Brands geben, die funktionale UND stylische Mode für RollstuhlfahrerInnen designen.
Wenn du einen barrierefreien Wunsch übrig hättest, was würdest du dir wünschen? Bzw. in welchem Bereich ist es wirklich nötig, dass sich etwas ändert?
Da ist tatsächlich noch in vielen Bereichen Nachholbedarf, ganz besonders nach wie vor in der Barrierefreiheit von Bus und vor allem Bahn, aber auch in deutschen Freizeitparks und der Bürokratie. Bei der Deutschen Bahn ist es immer noch Gang und Gebe, dass man sich als RollstuhlfahrerIn jedes Mal im Vorfeld anmelden muss. Man darf also null spontan sein. Aber selbst bei Anmeldung ist das zuständige Personal oft unzuverlässig, nicht hilfsbereit und unhöflich. Das geht gar nicht. In England habe ich Ähnliches erlebt. In deutschen Freizeitparks wird Menschen mit einer Behinderung verboten die Fahrgeschäfte zu benutzen – also ganz generalisiert. Überhaupt hat man oft den Eindruck: Behindert sein bedeutet, dass man keinen Spaß haben darf. Das ist eigentlich ziemlich traurig. Nun ja, und die deutsche Bürokratie ist der reinste Affentanz, wenn ich das mal so sagen darf. Da beantragt man ein Hilfsmittel, muss tausend Atteste, Stellungnahmen und Berichte besorgen und einreichen und bekommt ein halbes Jahr später dann trotzdem die Absage. Wenn man Widerspruch einlegt, geht alles von vorne los. Das ist zermürbend und genau darauf ist dieses System auch aus. Den Menschen soll nicht geholfen werden, sondern es soll ihnen im Gegenteil so schwer wie möglich gemacht werden, damit sie von selbst aufgeben. In diesem Bereich ist es vermutlich am allerwichtigsten, dass endlich Barrieren abgebaut werden.
anna fee
Anna Fee oder eigentlich Anna Franken studiert Modedesign in Trier und gründete aus ihrem Masterprojekt heraus ein eigenes Modelabel. Sie designt farbenfrohe und barrierefreie Rollstuhlmode für Frauen.
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